Die Auslegungsmethoden
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Je weiter du imJurastudium bist, desto wichtiger werden die Auslegungsmethoden. Du musst Normen nicht nur anwenden können, sondern auch wissen, wie sie verstanden werden sollen. Denn Gesetze sprechen selten eine eindeutige Sprache. Sie sind abstrakt formuliert und brauchen daher eines: Auslegung.
Die vier klassischen Auslegungsmethoden lernst du im ersten Semester – und wirst sie bis zum Examen rauf- und runterkauen. Egal ob Strafrecht, Zivilrecht oder Öffentliches Recht – sie sind universell anwendbar und bilden das Fundament juristischer Argumentation.
I. Wortlaut (grammatikalische Auslegung)
Die erste Station ist immer der Wortlaut. Was steht da eigentlich? Welche Begriffe verwendet der Gesetzgeber und was bedeuten sie im allgemeinen Sprachgebrauch oder im juristischen Kontext?
Beispiel:
§ 223 StGB spricht von „körperlicher Misshandlung“. Der Begriff „körperlich“ bezieht sich auf den Körper – klar. Aber was genau ist eine „Misshandlung“? Hier schaut man erst auf den Wortsinn: unangenehme, schmerzhafte, beeinträchtigende Einwirkung auf den Körper.
👉 Merke: Bleib immer nah am Gesetzestext. Aber Vorsicht: Der Wortlaut ist die Grenze, nicht die Lösung.
II. Systematische Auslegung
Hier schaust du dir an, wo die Norm im Gesetz steht. Welche Vorschriften stehen davor oder danach? Wie passt die Norm in das Gesamtgefüge?
Beispiel:
Steht eine Norm im Kapitel „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“, weißt du direkt, in welche Richtung sie zielt – das kann dir helfen, unklare Begriffe einzuordnen.
👉 Merke: Die Platzierung einer Vorschrift ist kein Zufall. Nutze sie, um den Sinn besser zu erfassen.
III. Historische Auslegung
Hier wird’s ein bisschen retro: Was wollte der Gesetzgeber damals, als er die Norm erlassen hat? Du schaust dir die Gesetzesbegründung oder Materialien an (wenn du Zugang hast) und versuchst zu verstehen, welches Problem die Norm ursprünglich lösen sollte.
Beispiel:
Wenn eine Norm aus dem 19. Jahrhundert stammt, hilft der historische Hintergrund oft dabei, ihren heutigen Sinn besser zu verstehen – oder zu erkennen, dass sich die Bedeutung über die Zeit verändert hat.
👉 Merke: Kein Muss in jeder Klausur – aber Gold wert bei streitigen Auslegungsfragen.
IV. Teleologische Auslegung
Jetzt wird gefragt: Was ist der Zweck der Norm? Welches Ziel verfolgt der Gesetzgeber damit?
Beispiel:
§ 242 BGB (Hauptnorm zur „Treu und Glauben“) dient dem Schutz vor rechtsmissbräuchlichem Verhalten. Wenn also jemand sich auf eine Lücke im Gesetz beruft, obwohl das klar gegen den Zweck geht, greift die teleologische Auslegung.
👉 Merke: Der Zweck kann auch dazu führen, dass man vom reinen Wortlaut abweicht – aber nur, wenn alle anderen Methoden das mittragen.
Fazit: Kombinieren erlaubt – und gewünscht!
Du musst nicht immer alle vier Methoden gleich ausführlich durchkauen, aber du solltest sie kennen, anwenden und je nach Fall kombinieren können.
In vielen Fällen führen Wortlaut und Systematik schon zur Lösung – in anderen ist der Telos entscheidend. Historisches kann ein „Zünglein an der Waage“ sein, ist in Klausuren aber meistens nicht nutzbar.
Mein Tipp: Übe das regelmäßig mit kleinen Normen, die du kennst – wie § 223 StGB oder § 242 BGB. Frag dich bei jeder Norm:
-
Was steht da?
-
Wo steht’s?
-
Warum steht’s da?
-
Was will man damit erreichen?
Wenn du diese Fragen sicher beantworten kannst, bist du auf dem besten Weg, juristische Denkweise wirklich zu verinnerlichen.

P.S.: Auf meinen Karteikarten findest du natürlich zu vielen Normen passende Auslegungsansätze und Beispielsätze für Klausuren. Und wie immer gilt: Frag dich nicht, ob du schon genug weißt (das Gefühl hat man eh nie haha)– frag dich, ob du heute 1% besser geworden bist. 💪